Ostrów Lednicki ist eine Insel mit Fläche von acht Hektar, die sich im südlichen Teil des postglazialen Rinnensees befindet. Die natürliche Wehrhaftigkeit und fruchtbaren Böden waren für die Besiedlung sowohl der Insel als auch der Umgebung des Sees günstig.
Die bis heute sichtbaren Wälle der Burganlage und die Relikten der monumentalen Steinarchitektur weckten seit jeher großes Interesse der Historiker. Der Mangel an schriftlichen Quellen verstärkte die Rätselhaftigkeit der Insel. Deshalb wurden bereits in der ersten Hälfte des 19. Jh. archäologische Forschungen vorgenommen, die mit einigen Unterbrechungen bis heute weitergeführt werden. Die infolge der Untersuchungen ausgegrabenen Funde sind von den Mitarbeitern des 1969 gegründeten Museums der Ersten Piasten auf Insel Lednica bearbeitet worden.
Die archäologischen Ausgrabungsarbeiten wurden in verschiedenen Teilen der Insel geführt. Das Fehlen eines Terrainprofils, das die einzelnen Ausgrabungen verbinden würde, erschwert die Bestimmung stratigraphischer Beziehungen der ausgesonderten Kulturschichten. Bei Synchronisierung der Schichten wurde die Analyse der Keramik ausgewertet, wobei die chronologische Konvergenz der Keramikkomplexe mit ähnlicher Herstellungstechnik und Gefäβmorphologie angenommen wurde. Es wurden drei technische Gefäβgruppen ausgesondert: a) handgemachte Gefäβe, b) teilweise auf Drehscheibe abgedrehte Gefäβe, c) ausschließlich auf Drehscheibe abgedrehte Gefäβe. Im Rahmen dieser technischen Gruppen wurden 10 Gefäβtypen ausgesondert.
Bei der Bestimmung der Chronologie wertete man stratigraphische Lage der ausgesonderten Schichten, Analyse der Keramik und anderer Funde (Münzen, Schmucksachen, Steigbügel, Kämme) aus.
Aufgrund der durchgeführten Analyse wurden auf Ostrów Lednicki sieben Horizonte der frühmittelalterlichen Besiedlung unterschieden. Die ältesten Besiedlungsspuren stammen aus dem Neolithikum. Es handelt sich um einzelne in frühmittelalterlichen Schichten gefundene Scherben. Im Grabungsschnitt X haben sich die Spuren der Schicht mit Keramik aus der römischen Kaiserzeit erhalten.
Horizont 1 (8. - 9. Jh.).
Die mit dem 1. Horizont verbundenen Besiedlungsspuren kommen in verschiedenen Teilen der Insel vor. Aus dieser Zeit stammen eine Wohngrube und eine Herdstelle, das einzige Inventar dieser Objekte bildet die Keramik (Taf. 4).
Horizont 2 (9. Jh. — Mitte des 10. Jh.).
Ende des 9. oder Anfang des 10. Jh. wurde im südlichen Teil der Insel eine Burg vom inneren Durchmesser ca. 40 m errichtet. Die Breite der Wallsohle betrug ca. 8 -1 0 m und die Wallhöhe ca. 5 m. In anderen Teilen der Insel (Grabungsschnitt II, Vorburg) wurden nur Spuren der Schicht aus dieser Zeit festgestellt. Einzige Funde bilden, ähnlich wie im Falle des 1. Horizontes, Keramikbruchstücke (Taf. 3, Abb. 11 - 12).
Horizont 3 (2. Hälfte des 10. - 1. Hälfte des 11. Jh.)
In der zweiten Hälfte des 10. Jh. wurde auf Ostrów Lednicki an Stelle der kleinen eine geräumige Burg aufgestellt, die mit den ersten historischen polnischen Herrschern, d.h. Mieszko I. und Bolesław Chrobry, verbunden war. Zu dieser Zeit wurde die Oberfläche des südlichen Inselteiles, die einst mit Vertiefungen von Breite bis 25 m durchgeschnitten war, ausgeglichen. Es wurden auch die Wehrwälle, 2 Brücken, wie auch der die beiden Brücken mit dem Burgtor verbindende Weg gebaut. Im südlichen Teil der Burg wurden ein Steinbau (Palatium) und eine Kapelle, im nördlichen Teil dagegen eine einschiffige Kirche errichtet.
Im Burginneren sind neben den Steinbauten auch Spuren der Wohnhäuser entdeckt worden. Die Bebauung des Burginneren ist schwer zu rekonstruieren, da im 12. Jh. an dieser Stelle ein Friedhof angelegt worden war, wodurch die älteren Schichten zerstört wurden.
An der nördlichen Seite der Wälle erstreckte sich die Vorburg mit dichter Bebauung. Es wurden hier überirdische Wohnhäuser wie auch eingetiefte Erzhütten aufgedeckt.
Die monumentale Architektur und zahlreiche mit der Hauswirtschaft verbundene Funde (Taf. 5, 6), ein Komplex der sog. sakralen Funde (Pektorale, bronzenes Kreuz, bronzene Fibel und beinerner Beschlag eines Buches), Militaria (Helm, Schwert, Speerspitzen, Streitäxte) lassen annehmen, das die Burg auf Ostrów Lednicki zu den Hauptzentren des Staates der ersten Piasten gehörte.
Die Zerstörung der Burg verbindet man in der Fachliteratur mit dem Volksaufstand in den 30er Jahren des 11. Jh. oder mit dem Überfall Břetislavs im Jahr 1039, was durch die Datierung der Keramik aus den mit Vernichtung der Burg verbundenen Schichten in die Zeit um die Mitte des 11. Jh. bestätigt wird (Taf. 3, Abb. 13 - 18).
Horizont 4 (2. Hälfte des 11. Jh.)
Die Verlegung des politischen Zentrums von Groβpolen nach Kraków um die Mitte des 11. Jh. hatte die Funktionsänderung der alten Hauptburge zur Folge. Dies ließ sich auch auf Ostrów Lednicki nach weisen. Der Burgwall wurde ausgebessert, die Burgkirche vermutlich wiederaufgebaut und durch Anbau von Annexen an die nördliche Wand des Presbyteriums und des Hauptschiffes erweitert, das Palatium wurde dagegen nicht wiederaufgebaut. Im Burginneren wie auch in der Vorburg ließ sich zu dieser Zeit eine dichte Bebauung feststellen. Ostrów Lednicki spielte nun die Rolle einer Kastelanei — eines administrativen und wirtschaftlichen Zentrums.
Horizont 5 (11. Jh. — 1. Halfte des 12. Jh.)
Zu dieser Zeit spielte Ostrów Lednicki weiter die Rolle eines administrativ-wirtschaftlichen Zentrums. Die Besiedlung der Vorburg nahm zu. An der Stelle der Holzhausrelikte blieben im 5. Horizont Lehmtennen mit reichem Fundinventar erhalten (Taf. 5, 6, Abb 19 - 24, 31). Auch im Burginneren sind die aus diesem Horizont stammenden Lehmtennen der Hauser zu sehen (Taf. 5, Abb. 25, 26, 32).
Horizont 6 (12. Jh.)
Die zum 6. Horizont gerechneten Schichten in der Vorburg weisen Spuren der teilweisen Zerstörung durch die spätere Bearbeitung des Bodens auf. Es blieben nur Fragmente einzelner Herdstellen und einer Lehmtenne erhalten. Dies ist der letzte Siedlungshorizont in dem untersuchten Teil der Vorburg (Taf. 6).
Im Mittelteil der Burg wurde vermutlich in dieser Zeit ein Friedhof angelegt, der bis zum 14. Jh. nachweisbar war. Mit diesem Horizont soll man auch die Zerstörung der Kirche im nördlichen Teil der Burg verbinden, worauf das auf dem Trümmerfeld liegende Material aus Schichten III und II hinweist (Taf 5, Abb. 27 - 28).
Horizont 7 (12./13. - 14. Jh.)
Die Besiedlungsspuren aus dieser Zeit wurden in der Burg, an der südlichen und westlichen Seite des Friedhofes, festgestellt. Die Burgkapelle mit einem angebauten Turm fungierte damals als Pfarr-(?) oder Friedhofskirche (?). Die gestürzte Kapellenwand überdeckte den Friedhof (Taf. 5, Abb. 29).