Die polnische Verfassung von 1997 bestimmt in Art. 21 Abs. 2 nur die Voraussetzungen der Enteignung, es gibt aber in Verfassungsvorschriften keine Legaldefinition der Enteignung.
In der historischen Entwicklung sind zwei Konzeptionen des Enteignungsbegriffes entstanden: Der sog. klassische, engere und spätere – breite. Der klassische Enteignungsbegriff unterscheidet sich von der späteren Konzeption in zwei Elementen: Erstens – nach der klassischen Auffassung konnte Enteignungsobjekt nur das Eigentum oder ein anderes dingliches Recht an einem Grundstück sein, zweitens – zum Enteignungswesen gehört die Übertragung des enteigneten Gegenstandes auf den Staat oder ein anderes öffentliches Rechtssubjekt. An die klassische Konzeption knüpft auch der Enteignungsbegriff in Art. 112 Abs. 2 des Gesetzes über die Gründstückswirtschaft an, die ein Grundakt der einfachen Gesetzgebung in diesem Gebiet ist.
Der verfassungsrechtliche Enteignungsbegriff soll aber weiter verstanden werden, als die Bedeutung, die diesem Begriff das Gesetz über die Gründstückswirtschaft gibt. Dieser weiten Konzeption gemäß ist der Begriff der Enteignung im Sinne des Art. 21 Abs. 2 der polnischen Verfassung durch folgende Merkmale gekennzeichnet: (1) Die Enteignung wird in Form eines individuellen Verwaltungsaktes vollzogen; eventuell darf man als Enteignung im verfassungsrechtlichen Sinne auch Fälle der sog. faktischen Enteignung betrachten, also der hoheitlich faktischen Eingriffe, die dieselben Folgen wie eine „formelle” Enteignung haben; im Fall eines generellen und abstrakten Akt der Eigentumsentzug – die polnische Verfassung kennt keinen Begriff der „Legalenteignung” – deshalb soll die Basis für den Schutz des Beeinträchtigten (auch in der Frage der Entschädigung) nicht der Artikel 21 Abs. 2 der Verfassung sein, sondern andere Verfassungsnormen und Grundsätze wie das Sozialgerechtigkeitsprinzip, der Gleichheitssatz, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder der Grundsatz des Schutzes der erworbenen Rechte. (2) Die Enteignung betrifft in ihrem sachlichen und personellen Bereich Eingriffe in alle vermögenswerte Rechte aller Rechsubjekte, unabhängig vom Charakter dieses Rechtes (öffentliches oder privates), als auch vom Charakter des Rechtssubjektes. (3) Die Enteignung ist nur aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung zulässig, die das Verfahren und den Bereich des Eingriffes bestimmt. (4) Die Enteignung ist ein Eingriff, der zur Entziehung des Rechtes oder zur Beeinträchtigung von seinem Wesen führt; die Beeinträchtigung des Rechtswesens bedeutet die Einführung von solchen Beschränkungen, die die grundlegenden Befugnissen betreffen, aus welchen die Inhalte des Rechtes besteht und damit die Funktion des Rechtes beeinträchtigen, die dieses Recht in der Rechtsordnung erfüllt. Diese Einschränkung des Enteignungsbegriffes ist nötig, um die Grenzen festzulegen, zwischen Enteignung einerseits, mit der immanent ein Entschädigungspflicht verbunden ist, und sonstigen Beschränkungen des Eigentums (im weiterem Sinne) andererseits, die nicht immer solcher Entschädigung anfordern. (5) Die Enteignung muss dem Allgemeinwohl dienen. (6) Die Enteignung ist nur gegen eine gerechte Entschädigung zulässig, d.h. nur gegen eine dem Marktwert des Rechtes entsprechende Entschädigung; nur im Fall einer Beschränkung (nicht Entziehung) des Rechtes soll die Entschädigung zur Minderung des Rechtwertes verhältnismäßig sein; Gerechtigkeit der Entschädigung ist nicht nur ein Problem der ökonomischen Äquivalenz, sondern wird auch mit den Anforderungen im Bereich der Modalitäten der Berechnung und Auszahlung der Entschädigung verbunden. Art und Weise, in der die Entschädigung berechnet und ausgezählt wird, darf nicht die Rechte der Betroffenen beeinträchtigen; andererseits aber bedeutet Gerechtigkeit der Entschädigung zugleich, dass öffentliches und privates Interesse ausgewogen werden müssen; in manchen Fällen wird also gerade die nicht volle (nicht voll äquivalente) Entschädigung gerecht sein.
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