Die Anfänge der Forschung über Funde auf Ostrów Lednicki reichen über 340 Jahre zurück. Die geheimnisvollen Ruinen auf der Insel des Lednica-Sees verband man seit jeher mit der Entstehungszeit des polnischen Staates und deshalb lösten sie damals ein großes Interesse der Forscher aus. Zuerst hat man die gröβte Aufmerksamkeit den architektonischen Überresten gewidmet und die grundlegenden Hypothesen in bezug auf die Rolle der auf Insel Lednica errichteten Bauten aufgestellt. Es sollte sich dort ein Schloβ Bolesław Chrobrys (z. B. in der Auffassung von Joachim Lelewel) oder ein Bau vom vor allem sakralen Charakter (so z. B. M. Sokołowski) befinden. Es muβ aber betont werden, daβ nur die erste Periode der Forschungen über Ostrów Lednicki mit einer umfangreichen Monographie, die allen damaligen wissenschaftlichen Anforderungen entsprach, geschlossen wurde (M. Sokołowski 1876).
In der Zwischenkriegszeit wurde zum Ausgrabungsgebiet vor allem das rund um die Ruinen liegende Gräberfeld, das aber nicht völlig veröffentlicht wurde, obwohl viele anthropologische Probleme eingehend bearbeitet worden sind. Zu dieser Zeit wurde auch eine Hypothese von sakral-profaner Bestimmung des Lednica-Baues aufgestellt (Z. Zakrzewski 1933).
Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Untersuchungen auf der Insel des Lednica-Sees in das Programm der Forschungen über Anfänge des polnischen Staates einbezogen, nachher wurden die Ausgrabungsarbeiten an diesem Objekt von verschiedenen Gruppen fortgesetzt, zuerst vom Denkmalpflegeamt und später von der speziell berufenen Museumsstelle (heute das Museum der Ersten Piasten). Auβer den architektonischen Relikten bezogen sich die Untersuchungen auch auf den nächststehenden Siedlungskomplex — die Burg mit der Vorburg, Seeüberfahrt, auch Siedlungsspuren an den Brückenköpfen. Die abwechselnden Forschungsgruppen wie auch die Änderungen in der institutionellen Unterstellung der Forschungsstelle in Lednica hatten zur Folge, daβ zu den veröffentlichten Ergebnissen dieser über 20 Jahre geführten Ausgrabungsarbeiten, die u.a. zur Entdeckung des zweiten sakralen Baues im Inneren der Burg, zweier Gräberfelder am Seeufer und zweier die Insel mit dem Festland verbindenden Brücken führten, lediglich Grabungsberichte und kurzgefaβte synthetische Veröffentlichungen vorwiegend vom populären oder enzyklopädischen Charakter gehörten. Auch in derselben Zeit erschien lediglich eine ausführliche Bearbeitung der architektonischen Bauten auf Ostrów Lednicki (W. Dalbor 1959), die aber nur anfängliche Forschungsergebnisse berücksichtigte. Die Besprechung der Steinarchitektur auf der Lednica-Insel von etwas breiterem Umfang erschien in enzyklopädischen Werken als auch in den der romanischen Kunst oder der Geschichte Groβpolens gewidmeten Arbeiten (vgl. z. B. Z. Świechowski 1962, K. Józefowiczówna 1969, J. Zachwatowicz 1971). '
In diesen Jahren haben sich noch die Kontroversen betreffs sowohl des Charakters und der präzisen Zeitstellung der Baureste als auch verschiedener mit ihrer nächsten Umgebung verbundener Fragen vertieft (Überblick über verschiedene Ansichten — vgl. K. Łopacka-Szymańska 1984). Mangel an Veröffentlichungen der Ausgrabungsresultate macht die Kontrolle der Grundlagen vorgeschlagener Entscheidungen unmöglich.
Die nächste Periode in der Geschichte der Forschungen über Ostrów Lednicki fang im Jahre 1981 an. Vor dieser Zeit stellten sich schon aber gewisse Umstände ein, die das Entwerfen eines den bisherigen Forschungsmangel auf Insel Lednica bewältigenden perspektivischen Planes ermöglichten. Vor allem wurde im Museum der Ersten Piasten eine mehrere Mitarbeiter zählende Archäologische Abteilung berufen, die vielseitige Forschungs- und Organisationsaktivitäten übernehmen konnte. Es gab auch gelungene Versuche interdisziplinärer Untersuchungen in Form von gemeinsamen archäologisch-anthropologischen Ausgrabungen auf den Gräberfeldern. Die Analyse des bisherigen Forschungsstandes über den gesamten Reliktenkomplex von Ostrów Lednicki führte zur Schluβfolgerung, daβ der weitere Untersuchungsfortschritt nicht durch neue Ausgrabungsarbeiten, sondern durch mühevolle Verifizierung der schon bestehenden Ansichten aufgrund der Auswertung der schon zur Verfügung stehenden Materialien, die im Notfall mittels des Verifizierungsverfahrens ergänzt werden können, bedingt wird. Es wurde also wissenschaftliche Bestandsaufnahme der bisherigen Bearbeitungen und der formulierten Forschungshypothesen durchgeführt (K. Łopacka-Szymańska 1984), die Dokumentation der bisherigen Untersuchungen und das bewegliche Fundmaterial wurden gesammelt und geordnet. M. Łastowiecki unternahm einen Versuch, die wesentlichen stratigraphischen Relationen in der Burganlage aufgrund der Analyse einiger ausgewählten Grabungsschnitte mit mehr deutlicher Stratifizierung festzustellen (M. Łastowiecki, vgl. vorliegender Band, S. 17).
Zu den Kontrolluntersuchungen wurden zwei unterschiedlich interpretierte Objekte ausgewählt: 1. die der Steinarchitektur vorangehende Burganlage und 2. der zweite sakrale Bau in der Lednica-Burg. Zur Erforschung der Architektur ist die Mitwirkung der sich mit dem monumentalen Bauwesen der ersten Piasten befassenden Kunsthistoriker gesichert worden. Nach dem vorzeitigen Tod Frau Dr. Krystyna Józefowiczówna ging an die Mitarbeit in diesem Bereich Frau Doz. Dr. habil. Klementyna Żurowska heran, was den Forschungen auf diesem außerordentlich wichtigen Gebiet volles fachmännisches Können und Wissen sicherte. Die Ausgrabungen in genannten Teilen der Lednica-Burg werden schon seit einigen Jahren geführt. Ihre bisherigen Ergebnisse weisen darauf hin, daβ man zu wesentlichen Feststellungen in umstrittenen Fragen kommen wird (vgl. E. Dzięciołowski, J. Górecki im vorliegenden Band, S. 185). Zwecks Erkennung der Verteilung anderer Elemente der Burg- und Vorburgbebauung wurde gleichzeitig unter Anwendung der elektromagnetischen Methode mit SIR-Gerät mitsamt der Anwendung und der Analyse der Luftbilder die verbreitende Oberflächenprospektion durchgeführt. Man ging erneut an die systematische Erforschung der beiden die Insel mit dem Festland verbindenden Brücken heran. Sie wurde durch die Arbeitsstelle für Unterwasserarchäologie des Archäologischen Instituts der Mikołaj-Kopernik-Universität durchgeführt, (vgl. A. Kola, G. Wilke 1985, wie auch im vorliegenden Band, S. 77).
Eine wesentliche in die Erforschung der Insel Ostrów Lednicki 1982 eingeführte Neuerung besteht in der Entwerfung eines Rahmenprogramms vielseitiger Untersuchung der Lednica- -Mesoregion, denn Ostrów Lednicki mitsamt Umgebung erwies sich als außerordentlich günstig für solchartige Untersuchungen.
Die verhältnismäßig unbedeutende Umgestaltung dieser Region infolge der Verstädterungsund Industrialisierungsprozesse ermöglichte Vertretern sowohl der Natur- als auch historischen Wissenschaften, verschiedenartige Forschungsarbeiten durchzuführen, die auf die Rekonstruktion der Umweltgestaltung in Verbindung mit Veränderungen in Besiedlung und Exploitation dieses Gebiets seit der urgeschichtlichen bis zur heutigen Zeit abzielten. Zwecks der Ausführung dieses Programms wurde im Museum der Ersten Piasten in Lednica ein interdisziplinarer Forschungskreis berufen, in dem Vertreter verschiedener Disziplinen, die unterschiedliche Forschungsstellen und wissenschaftliche Kreise repräsentieren, arbeiten (vgl. E. Dzięciołowski, J. Górecki im vorliegenden Band, S. 185). So ein großzügiges Forschungsprogramm kann als die meist effektive Form des Forschungsverfahrens vom großen Nutzen für alle Beteiligten betrachtet werden (vgl. St. Kurnatowski 1975). Zu den Aufgaben der Archäologen, die an diesen Arbeiten beteiligt sind, gehört neben den obenbesprochenen Ausgrabungsuntersuchungen auf Ostrów Lednicki auch der genaue Überblick über das Besiedlungsnetz der ganzen Region in der Vorzeit und Mittelalter.
Die infolge der genauen archäologischen Landesaufnahme gewonnenen Siedlungs-Kartogramme in bezug auf bestimmte Zeitraume wird man nachher mit den Karten, die verschiedene Umweltselemente auch in historischer Fassung enthalten, konfrontieren. Dies ermöglicht, in. der Zukunft eine Reihe von Studien zu den Relationen zwischen der Besiedlung und Exploitationsformen in verschiedenen Zeiträumen sowie zu den festgestellten Umwandlungen des natürlichen Milieus anzustellen.
Die ersten konkreten Ergebnisse der mit den oben charakterisierten perspektivischen, interdisziplinären Forschungsplänen in bezug auf die Mesoregion verbundenen Untersuchungen werden dem Leser im vorliegenden Band von „Studia Lednickie” dargestellt. Der Band enthält die Aufsätze, die die Orientierung über Forschungsvoraussetzungen der mitwirkenden Disziplinen ermöglichen und die ersten Arbeitsergebnisse darstellen. Es ist also die Hoffnung begründet, daβ die einleitenden großzügigen Studien über Insel Ostrów Lednicki und ihre Region unbehindert fortgesetzt werden würden. Als Endergebnis dieser Studien sind umfangreiche Material- und monographische Veröffentlichungen aus verschiedenen Gebieten zu erwarten.